Definition
Gewinnung von Material aus dem Knochenmarkraum zur zytologischen, histologischen
und weitergehenden Diagnostik. Unterschieden werden Knochenmarkaspiration
(zellreiche Markanteile) und Knochenmark-Stanze (Biopsie im Gewebeverbund),
mit unterschiedlicher diagnostischer Bedeutung:
- Aspirat: für Zytologie, Immunzytologie, Zytogenetik, FISH, molekulare Diagnostik, Virologie, Bakteriologie
- Stanze: für Histologie, Immunhistologie
Indikation
- Erstdiagnose und Verlaufskontrolle hämatologischer Erkrankungen
- Nachweis von Knochenmarkinfiltration durch solide Tumoren, Infekte (z.B. miliare Tuberkulose, CMV), Speicherkrankheiten (z.B. M. Gaucher, Amyloidose)
- Veränderungen des Knochenmarkstromas oder der Knochenmatrix
- Knochenmarkspende
Kontraindikationen
- relative Kontraindikationen: hämorrhagische Diathese, therapeutische Antikoagulation (einschließlich Acetylsalicylsäure, ASS)
- Infektion im Punktionsbereich
Inhalt des Knochenmarkpunktionssets
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Technik der Knochenmarkpunktion
Abklärung vor Punktion (Checkliste)
- Aufklärung und Einverständnis des Patienten
- Blutungs- und Medikamentenanamnese
- Labor: Blutbild (Thrombozytenzahl), Gerinnung (PTT, Quick). Bei Thrombopenie nur in Ausnahmefällen Substitution
- Diagnostik und Versand des Punktionsmaterials festlegen
Prämedikation
- Analgesie: großzügig nutzen; Sedierung nur unter geeigneten Bedingungen (unten). Bevorzugt peripher wirksame Analgetika einsetzen, z.B. Paracetamol p.o. oder i.v., Metamizol-Tropfen p.o.
- bei starker Schmerzempfindlichkeit/Wiederholungspunktion: ggf. zentral wirksame Analgetika, z.B. Morphinhemisulfat, 5–10 mg p.o., 15–30 min vor Punktion
CAVE: Vorsicht bei älteren Patienten, pulmonaler oder kardialer Vorerkrankung,
Überhang nach Punktion möglich. Antidot: Naloxon
- bei Bedarf zur Sedierung: Midazolam langsam i.v.
CAVE: nur unter Reanimationsbereitschaft und anschließender Überwachungsmöglichkeit.
Vorsicht bei Patienten > 60 Jahre, reduziertem Allgemeinzustand,
Myasthenie, chronischer Nieren-, Leber-, Herz- oder Ateminsuffizienz.
Kontraindikationen: Überempfindlichkeit, akutes Engwinkelglaukom, Alkohol-
oder Medikamentenintoxikation. Antidot: Flumazenil
- in Einzelfällen und bei Knochenmarkspende: Punktion in Vollnarkose
Punktionsort
- Spina iliaca posterior superior. Beidseitige Punktion empfohlen bei hochmalignen NHL, in Einzelfällen auch bei soliden Tumoren
- Position des Patienten: bequeme, stabile Seitenlage (alternativ Bauchlage)
- Sternalpunktion nur bei zwingender Indikation, z.B. nach Bestrahlung des Beckens. Nachteil: nur Aspirat möglich; Risiko für Perforation des Mediastinums
Hautanästhesie und Punktion
- Palpation der Spina iliaca posterior superior, evtl. Markierung
- Desinfektion der Haut, sterile Abdeckung, erneute Desinfektion, weiteres Vorgehen mit sterilen Handschuhen
- Infiltrationsanästhesie z.B. mit Scandicain® 2 % 5–10 ml: Haut, Subkutangewebe, Stichkanal, Periost; 5 min wirken lassen
- Spritzen vorbereiten: 20-ml-Spritzen mit 2 ml EDTA, für Ausstrichpräparate, Immunzytologie (Zellmarker), ggf. Virologie. 20-ml-Spritze mit Heparin (etwa 10000 IE), für Zytogenetik, molekulare Diagnostik
- Stichinzision der Haut. Einführen der Punktionsnadel unter rotierenden Bewegungen durch die Corticalis in die Spongiosa (abnehmender Widerstand bei Erreichen der Spongiosa)
Knochenmarkaspiration
- Mandrin aus der Punktionsnadel herausziehen, EDTA-Spritze aufsetzen, rasch und kräftig Knochenmark aspirieren (maximal 4–6 ml)
CAVE: Aspiration ist schmerzhaft, Patienten vorwarnen
- bei geplanter zytogenetischer Analyse: Wiederholung mit heparingefüllter Spritze
- Knochenmarkaspirat gut mischen. Aspirat auf Markbröckel prüfen, Ausstriche anfertigen
- bei erfolgloser Aspiration („Punctio sicca“): ggf. Knochenmarkzylinder auf Objektträger „abrollen"
Knochenmarkbiopsie (Stanzbiopsie aus Spina iliaca posterior superior)
- Yamshidinadel nach Mandrinentfernung unter drehenden Bewegungen (180°) mindestens 20 mm in Richtung Spina iliaca anterior superior vorschieben
- bei genügend langer Stanze (evtl. Kontrolle durch vorsichtiges Sondieren mit Mandrin, Stanze soll mindestens 5 mm lang sein) Nadel unter abscherenden Bewegungen mehrmals um 360° drehen, bis sich der Stanzzylinder an der Spitze im Beckenknochen löst
- vorsichtiges Entfernen der Nadel unter weiteren Drehbewegungen, Stanze bergen
- Punktionsstelle komprimieren, Pflasterverband, 30 min Bettruhe in Rückenlage auf Sandsack. Bei Blutungsneigung: 1–2 h Lagerung
Verarbeitung des gewonnenen Materials
Aspirat
- Zytomorphologie (5 ml Knochenmark, mit EDTA): Ausstrichpräparat, Ergebnis am gleichen Tag möglich
- Immunphänotpysierung (5 ml Knochenmark, mit EDTA): Ergebnis am gleichen Tag möglich
- Zytogenetik und FISH (5 ml Knochenmark, 10000 IE Heparin) bei hämatologischer Erkrankung, Befund nach mehreren Tagen
- Molekulargenetik (5 ml Knochenmark, Heparin oder EDTA): bei hämatologischer Erkrankung, Befund nach mehreren Tagen
- Sonstiges: mikrobiologische Untersuchung (Knochenmark steril oder in Isolator-Flasche), Gramfärbung, anaerobe und aerobe Kulturen, Ziehl-Neelsen-Färbung (Tuberkulose), virologische Untersuchung in EDTA (z. B. CMV-PCR nach Knochenmarktransplantation)
Knochenmarkstanze Histologie: Ergebnis nach etwa 7 Tagen
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Komplikationen
- Nachblutung (besonders bei Thrombopathie, myeloproliferativen Erkrankungen, Thrombopenie)
- Nervenläsion, Infektion, Nadelbruch (selten)
- Perforation des Os ilium, Psoasblutung (Fehlpunktion insbesondere bei Osteolysen, Beckendeformität, Osteoporose, Adipositas)
Literatur
Malempati S, Joshi S, Lai S et al. Bone marrow aspiration and biopsy. N Engl J Med 2009; 361:e28.
Talamo G, Liao J, Bayerl MG et al. Oral administration of analgesia and anxiolysis for pain associated with bone marrow biopsy. Support Care Cancer 2010;18:301–5.
Vöhringer M. Die Knochenmarkpunktion. Dt Med Wochenschr 2016;141:410–3.
Wilkins BS. Pitfalls in bone marrow pathology: avoiding errors in bone marrow trephine biopsy diagnosis. J Clin Pathol 2011;64:380–6.
www.emedicine.medscape.com/article/207575-overview
Zitierweise:
Rawluk J, Heinz J (2017). Knochenmarkpunktion/-biopsie - Standardisierte Vorgehensweise (SOP). In: Berger DP, Mertelsmann R: Das Rote Buch, Hämatologie und Internistische Onkologie, ecomed Medizin, Landsberg