G. Geldner
Den kompletten Artikel können Sie in unserem Kompendium "Anästhesiologie" nachlesen.
Mit der breiten klinischen Einführung von Sugammadex (Bridion®) ist es möglich, optimale Relaxierungsbedingungen von OP-Beginn bis OP-Ende zu garantieren, was bereits in diesem Werk so beschrieben wurde. Aber auch ohne den geplanten Einsatz von Sugammadex (Bridion®) ist durch Änderung von Operationszeiten und -ausdehnung oft ein anderes als das geplante Relaxierungsregime notwendig. Trotzdem bleibt die Vermeidung von postoperativen Relaxansüberhängen (PORC: postoperative residual curarisation) für unsere Patienten von großer Bedeutung, da PORC ursächlich für verschiedene postoperative Komplikation wie z.B. Pneumomien sein kann. In manchen Fällen ist die Wirkung von nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien am Ende nicht sicher beendet oder auch eine Relaxation bis zum OP-Ende zwingend notwendig. Hier werden meist Cholinesteraseinhibitoren eingesetzt, um die Wirkung der Muskelrelaxanzien zu antagonisieren.
Fallbeispiel:
Im Folgenden soll nun ein Fall vorgestellt werden, bei dem Sugammadex bei einem pulmonalen Hochrisikopatienten problemlos eingesetzt wurde.
In diesem Beispiel wurde, nach vorherigem anästhesiologisch/urologischem Konsil, bei einem 61-jährigen Patienten eine laparoskopische Nephrektomie durchgeführt. Der Patient hatte eine langjährige pulmonale Vorgeschichte und eine Lungenerkrankung im Endstadium GOLD IV. Unter Heimsauerstofftherapie und maximaler antiobstruktiver Therapie inklusive inhalativer Cortisontherapie entwickelte sich trotzdem bereits ein Cor pulmonale, welches von einer KHK und einem arteriellen Hypertonus begleitet wurde. In der klinischen Untersuchung bot er das Bild einer silent lung. In der oben erwähnten interdisziplinäreren Konferenz wurde unter Einbeziehung des behandelnden Pulmologen trotzdem die laparoskopische Operationsart, aufgrund der geringeren Invasivität und dem damit verbunden verbesserten postoperativen Outcome, insbesondere der pulmonalen Funktion, gewählt.
Bei laparoskopischen Eingriffen ist eine tiefe neuromuskuläre Blockade von großem Vorteil. Zum einen kann dabei mit geringeren CO2-Insufflationsdrücken (< 15 mmHG) ein höheres intraabdominelles Gasvolumen erzielt werden und damit die Übersichtlichkeit und die Operationsbedingungen verbessert werden. Gerade niedrigere CO2-Insufflationsdrücke (< 15 mmHG) sind auch mit einer erniedrigten CO2-Resorption verbunden,was gerade bei pulmonalen Risikopatienten im Sinne einer reduzierten postoperativen Notwendigkeit der CO2-Abatmung von Vorteil ist. Zum anderen ist eine sehr gute Relaxation für die Bergung der operierten Organe von großem Vorteil.
Daher wurde im vorliegenden Fall eine tiefe neuromuskuläre Blockade mit Rocuroniumbromid (0,6 mg/kgKG entspricht ca. 40 mg) induziert und durch weitere Bolusgaben (3 × 10 mg) bis zum Ende der Operation aufrechterhalten. Während der gesamten Operation wurde die neuromuskuläre Blockade mittels eines unglücklicherweise unkalibrierten Relaxometriemoduls des Datex®-S4-Monitors und einer TOF-Stimulation überwacht. Am Ende des intraabdominellen Anteils der Operation wurde die neuromuskuläre Blockade nicht weiter aufrechterhalten, da nur noch mit dem Hautverschluss zu rechnen war. Allerdings gestaltete sich der Wundverschluss aufgrund der Verletzung eines größeren Hautgefäßes als etwas schwierig, so dass die Operation noch länger dauerte, ohne dass eine tiefe neuromuskuläre Blockade weiterhin notwendig war. Zur Vermeidung eines postoperativen Relaxationsüberhangs wurde ab diesem Zeitpunkt kein Muskelrelaxans mehr verabreicht, um auch eine eventuelle Antagonisierung mit Neostigmin zu vermeiden. Der Patient zeigte in der Relaxometrie bereits eine Stunde vor Extubation 4 Reizantworten bei einer TOF-Stimulation. Allerdings zeigte der Patient klinische Zeichen einer postoperativen Residualen Blockade (PORC) in Form von kleinen Spontanatmungszügen und der Unfähigkeit einer langen muskulären Funktion (Kopfheben, Händedrücken). Aufgrund dieser Befunde und des pulmonalen Hochrisikoprofils, bei dem die Kraft der Atemmuskulatur unmittelbar postoperativ von essenzieller Bedeutung ist, wurde der Entschluss zur vollständigen Reversierung trotz bereits weit fortgeschrittener Erholung von der neuromuskulären Blockade gefasst. Eine Antagonisierung der neuromuskulären Blockade mit Neostigmin war natürlich aufgrund des oben beschriebenen Nebenwirkungsprofils kontraindiziert, obwohl es aufgrund der geringen neuromusklären Blockade physiologisch durchaus möglich gewesen wäre. Daher wurde der Entschluss gefasst, die Restblockade mit 200 mg Sugammadex zu reversieren, was völlig nebenwirkungsfrei geschah.
Der Patient konnte dann problemlos extubiert werden und zeigte einen völlig unauffälligen postoperativen Verlauf im Aufwachraum, wo er bereits bei Aufnahme auch einen Schluck Wasser problemlos trinken konnte. Dies ist der wohl beste Test für den Nachweis einer ausreichenden neuromuskulären Erholung und erhöht den Patientenkomfort sehr. Nach schneller Verlegung auf eine Intermediate Care Station und einer völlig unauffälligen Nacht konnte der Patient am 4. postoperativen Tag nach Hause entlassen werden.
Zitierweise:
Geldner G (2021). Fahrplanänderungen beim Relaxierungsmanagement – wann können sie notwendig werden und wie lösen wir das Problem? In: Eckart J, Jaeger K, Möllhoff T (Hrsg.). Anästhesiologie, 72. Erg.-Lfg., ecomed Medizin, Landsberg
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