Gefährdungs- und Abhängigkeitspotenzial von Gabapentinoiden – eine Übersicht

U. Bonnet

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Zusammenfassung:

Die Substanzklasse der Gabapentinoide (in Deutschland bestehend aus Pregabalin und Gabapentin) haben einige pharmakologische und klinische Besonderheiten, die interessant für die Bewertung von deren Abhängigkeitspotenzial sind. Gabapentinoide können durch Hemmung spezieller präsynaptischer spannungsabhängige Calcium-Kanäle behavioral „de-sensitisieren“, was im Tierexperiment gefundene anti-addiktive aber auch toleranzmindernde Fähigkeiten erklären würde. Letzteres könnte vermehrte Todesfälle erklären, die besonders bei Opiatabhängigen und Politoxikomanen im Zusammenhang mit Überdosierungen von Gabapentinoiden bekannt sind. In höheren Dosen oder bei rascher Eindosierung steigern Gabapentinoide den extrazellulären limbischen GABA-Gehalt und bieten damit eine hedonistische Belohnungskomponente (Euphorisierung). Im Tierexperiment zeigt sich, anders als bei traditionellen abhängigkeitsfördernden Substanzen, kein Selbstbelohnungsverhalten – als Hinweis auf ein eher schwaches psychisches Abhängigkeitspotenzial. Bei oraler Dosissteigerung bleibt die Bioverfügbarkeit von Pregabalin bei über 90 % und steigt linear – dagegen sinkt diejenige von Gabapentin parallel zur Dosiserhöhung nicht-linear unter 50 %. Klinisch wird das eher schwache psychische Abhängigkeitspotenzial von Gabapentinoiden durch fehlende gut dokumentierte Fälle einer psychischen Monoabhängigkeit („de-novo“-Abhängigkeit) von Gabapentin gestützt. Für Pregabalin sind vereinzelt psychische Monoabhängigkeiten beschrieben, weshalb Pregabalin als stärker addiktiv als Gabapentin gelten kann. Im Gegensatz zu ihrem generell eher schwachen Potenzial zur psychischen Abhängigkeit können Gabapentinoide eine erhebliche körperliche Abhängigkeit (Entzugssyndrom, Toleranz) entwickeln. Insbesondere schwerere Pregabalin-Abhängigkeiten entwickeln sich hauptsächlich bei Patienten mit vorherigen oder gleichzeitigen Abhängigkeitserkrankungen und hier vor allem Opiatabhängigen bzw. Politoxikomanen. Deshalb sollten bei Suchtpatienten entweder keine Gabapentinoide oder – wenn medizinisch erforderlich – bevorzugt Gabapentin anstatt Pregabalin unter strikter Kontrolle und nur so kurz wie möglich eingesetzt werden.

Abstract:

The gabapentinoid substance class (in Germany comprising pregabalin and gabapentin) have some pharmacological and clinical peculiarities that are interesting for evaluating their potential for developing substance dependence. Gabapentinoids can exert behavioral de-sensitization by inhibiting special presynaptic voltage-dependent calcium channels, which would explain anti-addictive but also tolerance-reducing abilities found in animal experiments. The latter could also explain increasing fatalities associated with gabapentinoid overdose, particularly occurring in opiate addicts and persons with multiple substance dependence. In higher doses or with rapid titration, gabapentinoids increase the extracellular limbic GABA concentration and thus can offer a hedonistic reward component (euphorization). In contrast to traditional addiction-promoting substances, there is no self-rewarding behavior in animal experiments – as a marker of a rather weak behavioral dependence potential. With an oral dose increase, the bioavailability of pregabalin remains at over 90 % and increases linearly – in contrast, that of gabapentin falls non-linearly below 50 % following dose increase. Clinically, the rather weak behavioral dependence potential of gabapentinoids is supported by a lack of well-documented cases of behavioral mono-dependence (“de-novo”-dependence) on gabapentin. Behavioral mono-dependences have been described for pregabalin, which is why pregabalin can be considered more addictive than gabapentin. In contrast to their generally rather weak potential for behavioral dependence, gabapentinoids can develop considerable physical dependence (withdrawal syndrome, tolerance). In particular, more severe pregabalin dependence can develop primarily in patients with previous or simultaneous addiction disorders, and here mainly in opiate addicts or persons with multiple substance dependence. Therefore, addicted patients should either not use gabapentinoids or – if medically necessary – should prefer using gabapentin instead of pregabalin under strict control and only as short as possible.

Zitierweise:

Bonnet U (2020). Gefährdungs- und Abhängigkeitspotenzial von Gabapentinoiden – eine Übersicht. Suchtmedizin 22(4): 173-181

Backmund / Walter / Soyka / Haltmayer † / Bruggmann / Krausz

Addiction Medicine

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