Multiple Chemical Sensitivity (MCS)/ Idiopathic Environmental Intolerances (IEI)

C. Hausteiner-Wiehle, S. Bornschein, C. Hornberg, G.A. Wiesmüller

Den kompletten Artikel können Sie in unserem "Handbuch der Umweltmedizin" nachlesen

Zusammenfassung:

MCS ist ein eindrückliches Beispiel für die komplexen, oft sehr individuellen und subjektiven Wechselbeziehungen zwischen Körper, Psyche und Umwelt. Trotz fehlender oder geringer somatischer Befunde ist der Leidensdruck der Patienten häufig so groß, dass eine Bewältigung des Alltagslebens kaum noch möglich ist. In der Folge entstehen soziale und finanfinanzielle Einbußen, hohe direkte und indirekte Gesundheitskosten.

Die jahrelange dualistische Debatte, ob MCS nun „körperlich“ oder „psychisch“ sei, hat viele Betroffene
verunsichert, Zeit und Ressourcen für Ursachensuchen und Therapieversuche verschlungen, aber keine zufriedenstellende Verbesserung der Situation von MCS-Patienten gebracht. Von der „Schulmedizin“ fühlen sie sich häufig weggeschickt, Arzt-Patient-Beziehungen werden regelmäßig als schwierig erlebt. Betroffene wenden sich daher nicht selten alternativmedizinischen, wissenschaftlich nicht validierten
Erklärungsmodellen und Behandlungsmethoden zu, die zwar subjektiv entlasten, die Beschwerden und die Teilhabe aber selten verbessern und unter Umständen mit gefährlichen Nebenwirkungen und hohen Kosten behaftet sind.

Aus wissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei MCS bisher nicht um ein klar definierbares Krankheitsbild, sondern wahrscheinlich um eine spezielle, im Einzelfall besonders belastende Manifestation einer funktionellen Erkrankung. Besonders der fehlende Kausalzusammenhang zwischen Exposition und Beschwerden, der chronische Verlauf sowie die Komorbiditäten weisen auf eine generelle, nicht zwingend substanzgebundene Hypersensitivität hin. Deren Wirkmechanismen,
strukturelle und funktionelle Korrelate bedürfen allerdings einer weiteren wissenschaftlichen
Untermauerung, auch in Bezug auf ihre therapeutische Modifizierbarkeit.

Ein Verständnis von MCS als dysfunktionalem Teufelskreis aus negativen Erfahrungen und Bewertungen, aus psychophysiologischer Anspannung und Hyperreagibilität bietet sowohl den Patienten selbst als auch ihren behandelnden Ärzten ein nachvollziehbares psychoneurobehaviorales Modell. Zudem impliziert es eine zumindest potenzielle Reversibilität und eröffnet konkrete Handlungsoptionen, wie die Überprüfung und Relativierung von Bedrohungserwartungen, Aufmerksamkeitsfokussierung und Vermeidungsverhalten.

Was bedeutet das für den zukünftigen Umgang mit dem Phänomen MCS?

  •  Konkrete Arzt-Patient-Kontakte sollten noch stärker von Empathie getragen sein. Sie sollten sich darauf konzentrieren, individuelle Erklärungsmodelle biopsychosozial zu erweitern und die Patienten dabei zu unterstützen, ihre sozialen Netzwerke zu erhalten, ihre Erwerbsfähigkeit zu sichern und so Teilhabe und Lebensqualität zu verbessern.
  • Eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit ist geboten – nicht nur bei der Betreuung einzelner Patienten, sondern ganz allgemein zur Prävention, Früherkennung und zur Vermeidungvon (auch iatrogener) Chronifizierung. Dazu gehören eine einheitliche, nicht-stigmatisierende Terminologie, der kollegiale Austausch aller an einer Behandlung Beteiligter, multimodale Therapiekonzepte, interdisziplinäre Forschungsansätze und eine stärkere Thematisierung umweltmedizinischer und funktioneller Krankheitsbilder in der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Und schließlich wirft MCS auch einige grundsätzliche gesellschaftliche Fragen auf, etwa im Hinblick auf die Bedeutung zunehmender individueller Empfindlichkeiten und Abgrenzungsbedürfnisse, auf den Umgang mit unbekannten Risiken und auf Phänomene, die sich nicht in den üblichen Körper-Psyche-
Dualismus einordnen lassen.

Zitierweise:

Hausteiner-Wiehle C, Bornschein S, Hornberg C, Wiesmüller GA (2020). Multiple Chemical Sensitivity (MCS)/Idiopathic Environmental Intolerances (IEI). In: Wichmann HE, Fromme H (Hrsg.), Handbuch der Umweltmedizin, Kap. V-13.3, 68. Erg.-Lfg. ecomed Medizin, Landsberg

Wichmann / Fromme / Zeeb

Toxikologie - Epidemiologie - Hygiene - Belastungen - Wirkungen - Diagnostik - Prophylaxe

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