Auszug aus dem Handbuch der Infektionskrankheiten:
- Durch den zunehmenden Gebrauch von Mikroskopen für biologische Untersuchungen seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gelang es, sowohl freilebende als auch parasitische Protozoen nachzuweisen.
- Im Verlauf des 19. und im 20. Jahrhundert konnte die medizinische Bedeutung verschiedener parasitischer Protozoen durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Ergebnisse belegt werden.
- Protozoen sind einzellige, eukaryotische tierische Organismen, die zusammen mit anderen einzelligen Lebewesen des Tier- und Pflanzenreiches zu den Protisten gehören.
- Sie haben einen Zellkern und zeigen im Zellaufbau die gleichen Grundmerkmale wie Metazoenzellen.
- Zusätzlich haben viele Protozoen Organellen, die der Fortbewegung dienen.
- Neben dem Zellkern besitzen einige weitere spezielle Plasmastrukturen für bestimmte Lebensleistungen. Es sind dies hauptsächlich Mitochondrien, Ribosomen, das endoplasmatische Reticulum, der Golgi-Apparat, Rhoptrien, Mikronemen, Vakuolen sowie Ansammlungen bzw. Depots von Reservestoffen.
- Das Plasma der Protozoenzelle besteht aus einem inneren, granulierten Endoplasma und einem hyalinen Ektoplasmasaum. Die Zellumgrenzung erfolgt entweder durch ein zartes Plasmalemma (Amöben) oder durch eine derbere Hülle, die Pellicula (Trypanosomen und andere Flagellaten, Ziliaten).
- Die Zellhülle spielt eine wichtige Rolle bei der Nahrungsaufnahme. Diese erfolgt durch Permeation, durch Pinozytose, Phagozytose sowie durch speziell strukturierte Zytostome.
- Verschiedene Protozoen, insbesondere Flagellaten und Ziliaten, bilden als Schutz gegen ungünstige äußere Bedingungen Zysten (diese sind meist auch die Übertragungsstadien und besitzen eine hohe Tenazität).
- Der Zellmembran der parasitischen Protozoen ist ein „surface coat“ integriert, der bei manchen protozoischen Parasiten antigene Variationen ermöglicht und z.T. als Schutzmechanismus gegen die Immunabwehr des Wirtes wirkt.
- Stützelemente in den Protozoenzellen sind u.a. mikrofilamentäre Strukturen, subpellikuläre Mikrotubuli (Trypanosomen), fibrilläre Strukturen der ventralen Saugscheibe der Giardien, Achsenstäbe, Pelta, Costa, Parabasalfilamente (Trichomonaden), Paraxialstäbe (Trypanosomen), Conoide des Apicalkomplexes der Sporoza.
- Zur Fortbewegung dienen den Amöben Scheinfüßchen, Pseudopodien, den Flagellaten und Gameten der Sporozoen Geißeln, den Ziliaten Wimpern und den Microspora Kontraktionen fibrillärer Strukturen (gleitende Bewegungen).
- Reizwirkungen führen bei den Protozoen zu komplexen und teilweise koordinierten Erregungen bzw. Reaktionen (Chemo-, Thermo-, Thigmo- und Phototaxis).
- Die Vermehrung der Vertreter verschiedener Protozoenstämme erfolgt ungeschlechtlich, bei manchen auch geschlechtlich; bei einigen (Trypanosomen, Leishmanien, Malariaplasmodien) besteht ein ausgeprägter Generationsverbunden mit einem Wirtswechsel. – Im Verlauf der geschlechtlichen Phase können Isogamie (Trypanosomen) oder Anisogamie auftreten (Malaria-Plasmodien).
- Die Teilung der Protozoenkerne erfolgt mitotisch; auch sind Meiosen beobachtet worden. Die Zellteilung vollzieht sich als Zwei- (Flagellaten, Ziliaten) oder Vielfachteilung (Sporozoen).
- Die Übertragung der Infektionsstadien parasitischer Protozoen erfolgt unter Vermittlung der Umwelt (Intestinalprotozoen), durch Kontakte (Urogenitaltrichomonaden, Mundhöhlenprotozoen) sowie gebunden an Lebewesen, die für die Entwicklung der jeweiligen protozoischen Parasiten biologisch notwendig sind (Malariaerreger – Anopheles-Mücken; Leishmanien – Phlebotomus-Mücken).
- Pathogenetische Einwirkungen parasitischer Protozoen gehen auf direkte (intrazelluläre Erregervorkommen) sowie auf indirekte Einflüsse zurück (Anheften der Parasiten an die Wirtszelle). Stoffwechselprodukte parasitischer Protozoen haben Antigencharakter, sie wirken immunogen und verursachen Entzündungen. Immunkomplex-bedingte Organausfälle haben schwerste Symptome zur Folge.
- Befall mit parasitischen Protozoen löst komplexe immunologische Reaktionen des Wirtsorganismus aus. Kaskadenartig kommt es im Infektionsverlauf zu typischen Immunreaktionen.
- Protozoische Parasiten entwickeln verschiedene biologische Abwehrmechanismen („Evasionsmechanismen“), um der Einwirkung des Immunsystems des Wirtes zu entgehen (u.a. Variation der Oberflächenantigene, „Antigentarnung“, Bildung von Oberflächenantigenen, die das Immunsystem des Wirtsorganismus fehlleiten, Inaktivierung von Komplement).
- Die protozoologische Diagnostik erfolgt auch heutzutage noch durch mikroskopische Untersuchungen verschiedener Prüfmaterialien (Stuhl, Blut, Vaginal-, Urethral-, Mundhöhlenabstriche) im Nativ- wie auch im gefärbten Ausstrichpräparat. Die molekularbiologischen Untersuchungen sind mittlerweile ebenfalls Standard und nutzen z.B. Multiplex-PCR Verfahren.
- Untersuchungen auf das Vorhandensein spezifischer Antigene im Blut (Diagnose von Trypanosomiasen, Leishmaniasen, Malaria) sowie im Stuhl (Diagnose der intestinalen Entamoebiasis) können u.U. zu einer raschen diagnostischen Aussage führen.
- Bei Protozoonosen mit unmittelbaren Erregerkontakten zu Wirtszellen bzw. -geweben, z.B. bei extraintestinaler Entamoebiasis und Toxoplasmose, werden Antikörpernachweise im Blutserum geführt, wobei unterschiedliche Methoden, beispielsweise ELISA-Technik, Indirekte Immunfluoreszenz u.a., zur Anwendung kommen.
- Bei der Bekämpfung von Protozoonosen spielt die spezifische Chemotherapie eine wichtige Rolle. Gegen die meisten Protozoeninfektionen können heute hochwirksame Pharmaka eingesetzt werden. In manchen Fällen, so bei der Malaria, bietet die medikamentöse Prophylaxe eine weitere effektive Möglichkeit des antiprotozoischen Infektionsschutzes.
- Neben der Chemotherapie bilden die Prophylaxe und die Infektkettenunterbrechung ein wichtiges Element der Strategie auf dem Gebiet der Bekämpfung von Protozoonosen. Besondere Bedeutung haben hier hygienische Maßnahmen wie Hygiene der Fäkalienbeseitigung, Abwasserhygiene, persönliche Hygiene u.a. sowie im Rahmen der gegen Vektor-gebundene Protozoonosen gerichteten Aktionsprogramme die Bekämpfung der Erreger-übertragenden Arthropoden (Stechmücken, Stechfliegen, Zecken) und in manchen Fällen (Hautleishmaniasis) auch der als Erregerreservoire bedeutsamen Wirbeltiere.
Zitierweise:
Scheid P (2019). Protozoonosen (Protozoen-Infektionen) – Übersicht. In: Meyer C (Hrsg): Handbuch der Infektionskrankheiten. Kap. VIII–5.0, 83. Erg.Lfg., ecomed Medizin, Landsberg