F.X. Reichl
Abstract aus dem Handbuch der Umweltmedizin:
Die Polymerisation von Inhaltsstoffen (z. B. Methacrylate) in Zahnkunststoff-Materialien beträgt nur ca. 50 %. Die restlichen Anteile können daraus freigesetzt werden und in den Körper gelangen. Zahn-Kunststoffe können sein: Komposits, Dentinadhäsive, Wurzelkanalfüllmaterialien, Prothesenmaterialien,
Fissurenversiegler und Zemente. Durch die steigende Verwendung von Zahn-Kunststoffen wird in den
letzten Jahren ein Anstieg der Allergien gegenüber diesen freisetzbaren Inhaltsstoffen bei Zahnärzten/
Personal und auch bei Patienten beobachtet. Als klinische Bilder werden meist Kontaktekzeme, Urtikaria,
Läsionen und Dermatitiden beobachtet. Durch die inhalative Aufnahme von Methacrylaten wird
auch ein Anstieg von Atemwegserkrankungen (z. B. Asthma) bei Zahnärzten/Personal beobachtet. Viele
Patienten beschreiben oft zusätzlich unspezifische Beschwerden nach erfolgter Zahnrestauration (z. B.
Kopfschmerz, gastrointestinale Beschwerden), die jedoch von einem psychosomatischen Formenkreis
unterschieden werden müssen. Gegenüber allen Zahnmaterialien (auch Amalgame und sogar Gold)
sind Allergien bekannt.
In den Medien wird auch immer wieder über die gesundheitliche Gefährdung durch Amalgamfüllungen
berichtet und daraus eine Bedrohung der Volksgesundheit abgeleitet. Die toxikologische Beurteilung
hat sich dabei auf wissenschaftlich erfassbare und gesicherte Fakten zu stützen, nämlich der Exposition
mit Quecksilber (Hg) aus Amalgamfüllungen, den aus dieser Exposition ableitbaren Beitrag zur Gesamtbelastung des Organismus mit Hg und dem Vergleich mit den bisherigen Kenntnissen über Toxikologie und Symptomatik der Hg-Vergiftung.
Der Wissenschaftliche Ausschuss zu neu auftretenden und neu identifizierten Gesundheitsrisiken bei
der EU-Kommission hat festgestellt, dass die Verwendung von Amalgam wie auch von anderen
Zahnfüllstoffen nach gegenwärtigem medizinischen Kenntnisstand nur mit geringen Gesundheitsrisiken
verbunden sei. Studien, die wissenschaftlich gesicherte Nachweise für einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen dem Vorhandensein von Amalgamfüllungen und degenerativen Krankheiten, der Störung kognitiver Funktionen oder sonstigen unspezifischen Symptomen erbringen, gebe es nicht. Zwar könne es bei Amalgam wie auch bei anderen Zahnfüllstoffen zu allergischen Reaktionen kommen. Diese sind aber lokal begrenzt und selten. Es gebe auch keine Hinweise auf ein erhöhtes Gesundheitsrisiko
für Personen, die in Zahnarztpraxen/Laboren arbeiten. Eine Ausnahme stellen die allergischen
Erkrankungen bei diesem Klientel gegen freigesetzte Inhaltsstoffe aus Amalgame dar (z. B.
Quecksilber), die aber wesentlich seltener sind als bei Kunststoff-Zahnmaterialien (z. B. Methacrylate).
Aus vorbeugenden Gründen wird die Verwendung von Amalgamen in der EU in den nächsten Jahren
stufenweise herabgesetzt.
Aus Hybrid- und Nano-Komposits werden während des Schleifens und des Kauvorgangs auch (Nano-)
Partikel freigesetzt. Nanopartikel gelten als toxische Substanzen, die eine Reihe von Nebenwirkungen haben können. Der Zahnarzt kann den entstehenden (Nano-) Schleifstaub/Partikel einatmen. Die Patienten können die abradierten (Nano-) Partikel nach Ingestion im Gastrointestinaltrakt resorbieren. Der Zahnarzt sollte beim Beschleifen der Füllung eine FFP-Maske („filtering face piece mask“) verwenden und eine gute Absaugung mit Kühlung anwenden. Durch die extrem geringen Mengen an abradierten und verschluckten (Nano-) Partikeln ist das Gesundheitsrisiko für den Patienten als sehr gering einzustufen.
Titan (Ti) dient in der Zahnmedizin vorwiegend als Implantatmaterial. Titan gilt als inertes und biokompatibles Material. Dennoch wird in der Literatur immer wieder von Verlusten von Titanimplantaten
bei Betroffenen berichtet. Manche Autoren sehen als Ursache sogar Ti-Materialunverträglichkeiten. Titan kann tatsächlich aus Ti-Implantaten freigesetzt werden und in den menschlichen Kieferknochen eindringen. Immer wieder wird Titan auch für das Auftreten von Nebenwirkungen (z. B. Allergien) auch
bei Trägern von Titanimplantaten verantwortlich gemacht. Die Folge ist, dass Patienten (aber auch
Zahnärzte/Personal) verunsichert sind und Ängste entwickeln, die ihrerseits Krankheiten auslösen können. In eigenen Studien war Nano-Titan in In-vitro- und In-vivo-Toxizitätstests nicht toxischer als andere zahnärztliche Materialien (z. B. freigesetzteMethacrylate aus Kompositen).Die Auslösung von Titanallergien durch das Einsetzen von Titanimplantaten bei Patienten ist in der wissenschaftlichen Literatur umstritten.
Auch Keramiken und andere Legierungen (selbst Gold und Zirkon) können Nebenwirkungen zeigen. Das Internationale Beratungszentrum für die Verträglichkeit von Zahnmaterialien (BZVZ) verfügt über die weltgrößte Datenbank zur Freisetzung dieser Inhaltsstoffe aus allen Zahnmaterialien. In Zusammenarbeit
mit Kliniken und Instituten an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an anderen Universitäten hat das BZVZ ein Allergie-Testverfahren entwickelt, mit dem eine Allergie gegenüber diesen freisetzbaren Inhaltsstoffen aus Zahnmaterialien sicher nachgewiesen werden kann. Es kann genau beurteilt werden, ob das sich momentan im Mund befindliche Zahnmaterial die Ursache ist für die bestehenden Beschwerden des Patienten oder nicht. Hier gibt es klareAntworten, ob das Material entfernt werden muss oder nicht. Ferner kann für die Betroffenen das verträglichste Zahnmaterial für die Zukunft ausgewählt werden. Auch psychosomatische Beschwerden können klar von Zahnmaterialien-Unverträglichkeiten unterschieden werden.
Zitierweise:
Reichl FX (2019). Zahnfüllungsmaterialien. In: Wichmann HE, Fromme H (Hrsg): Handbuch der Umweltmedizin, Kap. VIII-6.1, 65. Erg.Lfg., ecomed Medizin, Landsberg
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