S. Lobentanzer, J. Klein
Abstract aus dem Handbuch der Umweltmedizin:
Neurotoxische Stoffe findet man unter Genuss- und Suchtstoffen (Ethanol, Hexan), Bioziden, Schwermetallen und in vielen tierischen und pflanzlichen Giften. Manche Vergiftungen sind aus historischen Erfahrungen bekannt, so z. B. aus der Gewinnung und Verarbeitung von Schwermetallen; andere sind aus epidemischen Vergiftungen bekannt, wie der Minamata-Katastrophe mit Quecksilber oder dem Verschnitt alkoholischer Getränkemit TOCP. Tierische und pflanzliche Gifte haben oft eine regionale Bedeutung und werden z. B. in Mitteleuropa selten gesehen. Die Vielzahl der Vergiftungsmöglichkeiten und die spezifischen toxischen Mechanismen in Nervensystemen
werden von den hier genannten Beispielen illustriert. Jedoch sind die Grenzwerte in Deutschland heute so bemessen, dass eine ernsthafte Schädigung von Menschen eigentlich nur bei chemischen
Unfällen, Suizidversuch oder grober Fahrlässigkeit erwartet werden kann.
Für den Umweltmediziner bedeutet dies, dass bei nervösen Zeichen einer Vergiftung zunächst das Vergiftungsbild erwogen werden muss. Unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen oder Schwindel sind nicht ausreichend, um eine Vergiftung des Nervensystems zu konstatieren. Die häufigste Symptomatik in der Neurotoxikologie ist sicherlich die Polyneuropathie mit Empfindungsstörungen, Parästhesien und evtl. Muskelschwäche und Lähmungen. Eine große Zahl von chemischen Stoffen, die eine Polyneuropathie auslösen können, wurde von Rao et al. 2014 zusammengefasst; dazu gehören die o. a. Lösemittel, Pestizide und Metalle sowie bestimmte Arzneistoffe (z. B. Muskelschmerzen durch Statine, Neuropathien in der onkologischen Therapie oder durch Fluorchinolon-Antibiotika).
Bei Tremor, Krämpfen oder Muskelschwäche muss an neurotoxische Mechanismen gedacht werden, beispielsweise an Exposition gegenüber Hemmstoffen der AChE. Veränderungen des Bewusstseins treten unter Suchtstoffen und Psychopharmaka auf, aber auch bei chronischen Vergiftungen von Metallen, die zu Enzephalopathien führen können. Bei den Vergiftungen mit teilweise exotischen biologischen Toxinen ist die Anamnese entscheidend, d. h. die mögliche Exposition des Patienten in den zuvor liegenden Wochen.
Zitierweise:
Lobentanzer S, Klein J (2019). Zentrales und peripheres Nervensystem. In: Wichmann HE, Fromme H (Hrsg): Handbuch der Umweltmedizin, Kap. V-11, 65. Erg.Lfg., ecomed Medizin, Landsberg
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